Hallo Klaus-Bernd,K-B hat geschrieben:[...] Einen Berlin-Besuch haben meine Frau und ich uns fest vorgenommen, natürlich inklusive Konzertbesuch
Dabei hatte ich bisher eigentlich nur die Philharmonie im Hinterkopf, Tipps bezüglich guter Sitzplätze oder eines anderen Konzertsaals mit guter Akustik sind daher herzlich willkommen! [...]
in der Philharmonie gehe ich gerne in Block D, wenn ich Platznummern ca. zwischen 6-14 bekommen kann. Sehr gutes Preis-Akustik-Sicht-Verhältnis. Kleinere Platznummern in D = zu dicht an einer akustisch einseitig störenden Zwischenwand, größere = gefühlt weiter weg.
Block A, B, C sind sehr gute bis gute konventionelle Plätze. Du solltest nur nicht ganz hinten im jeweiligen Block sitzen, weil dann wieder hinter und über dir eine hohe Rückwand ins Gehörte eingreift. Der Klang verliert an Atmoshäre.
Wenn du seitlich vom Orchester sitzt: Auf KEINEN Fall in die vordersten 3 Reihen von Block E: teuerste Plätze, mieser Klang.
In E rechts hörst du vorne überhaupt keine Bässe und Wärme (Transistorklang. Du wirst nicht mehr glauben wollen, dass Basstöne theoretisch ideale Kugelwellen sind. ), E links schattet die Ersten Geigen und die Schmankerln (Harfen, Celesta) ab. Lieber in E ein paar Reihen weiter nach oben (= vom Orchester weg), oder gleich in F oder G gehen. Bis dorthin mischt sich der Schall wieder, denn der abschattende Balkon E ist weiter weg. Billiger und besser als E!
Indiskutabel sind die Plätze hinter dem Orchester (H, K): Tolle Sicht auf Dirigent (Blicksprache!) und emsig wuselnde Schlagzeuger, aber du hörst wirklich nur noch Schlagwerk und - da der Rest des Orchesters akustisch fehlt - hohles, trockenes Tuten der Horngruppe. Es spielen nun mal alle Instrumente nach vorne, und die Einsätze der Instrumentengruppen werden unter Berücksichtigung der Schalllaufzeiten NACH VORNE abgerufen. Nach hinten kommt alles mögliche heraus, nur kein harmonischer Zusammenklang... nix syn phon...
Hans Scharouns Idee der Demokratie von Publikum und Orchester (Orchester rings von Publikumsplätzen umgeben) liest sich im politisch korrektem Feuilletonsdeutsch schön, fasziniert architektonisch sofort, klingt leider... besch... wenn man nicht auf klassisch angeordneten Plätzen sitzt.
Selbst in einer Dorfsporthalle habe ich schon akustisch ausgezeichnete Sinfoniekonzert gehört. In Berlin muss man buchstäblich erst mal schauen, wo man sitzt.
Aber sag das nie einem Berliner! Ein Berliner kennt sich aus! Nenne ihm Provinzsäle mit ausgewogener Akustik (Musensaal Mannheim, Festhaus Worms, ...), und es wird dir ergehen, wie einem jeden Voodoo-Hörer: Ketzer sind Barbaren! Man eröffnet ein Volksfest, kocht sie und frisst sie auf.
Das Konzerthaus/Schauspielhaus Berlin mit seiner Guckkastenbühne in überladener Stuck- und Marmorausstattung aus historisierenden 1980er DDR-Jahren... hätte man Schauspielhaus sein lassen sollen. Immerhin, sie haben darin in den letzten Jahren mit transparenten Reflexionsflächen und einem riesigen Dämpfungsvorhang vor der Rückwand die akustische Situation schon deutlich verbessert. Man muss nicht mehr davor warnen ("Klingt wie in einer leeren Fischbüchse!"). Wenn man die Phil gesehen hat, kann man ruhig auch mal hier reinschauen. Das geht preisgünstig beispielsweise Dienstag nachmittags, wenn die HALBE STUNDE ORGEL angesetzt ist. Je kleiner die Besetztung, desto besser der Klang.
Da es nichts gibt, was es nicht gibt: Hier sind ausgerechnet die Plätze seitlich des Orchesters sowie ganz oben (2. Rang, besonders wenn weit vorne platziert) akustisch gut. Besser als in all den eben auch akustisch hermetisch abgekanzelten Logen des ersten Ranges und weniger trocken als im Parkett oder im 1. Rang hinten quer.
Sehr gerne mag ich das RSB (Rundfunk SO Berlin; "Philharmoniker Ostberlins") , dessen Stammhaus dies ist. Bei ihnen höre ich besonders gerne französische Orchesterwerke. Die Holzbläser! Seit Ashkenazy weg ist, klingt auch das DSO nicht mehr kalt, meine Empfehlung für Wiener Klassik und deutsche Romantik. Schön straff, aber nicht nur das. Sie haben mehrere interessante Dirigentenpersönlichkeiten hinzubekommen. Infolge dieser Entwicklungen für mich derzeit das spannenste Orchester der Stadt, bis auf DAS EINE.
An die Philharmoniker kommt für mich persönlich kein anderes Europäisches Orchester heran. Denn bei den auf Augenhöhe spielenden Wienern schlafe ich persönlich ein oder zappe weg... Die wirklich sehr Berlinische Mischung aus atmendem Schönklang und preußischem Dampfhammer, aus Akuratesse und wildem Tier ist wiederum dem VPO-Liebhaber zu scharf gewürzt. Für mich ist das BPO schlicht das Schönste aller Orchester. Karten rechtzeitig vor dem Berlin-Besuch sichern, takt- und schlückchenweise genießen wie einen selten guten Wein.
Der sogenannte Kammermusiksaal der Philharmonie (treffender im guten Sinne: Kleine Philharmonie) macht viel Spaß. Geheimtipp! Nur die Lichtfarbe ist zu kalt gewählt. Und Glamour ist etwas anderes. Der Jazzclub unter den Berliner Konzertsälen.
Man ist dort gefühlt ganz dicht an den Musizierenden dran, die trockenere Akustik (1,8 statt wie im Großen Haus 2,4 Sekunden Nachhall) stützt diesen Eindruck. Zusammen rockt es. Der Raumklang macht kaum platzabhängige Sprünge. Abschattungen durch Mauersockel der Nachbarblöcke fallen weniger ins Gewicht, da deren Flächen kleiner als im Großen Haus sind. Erst ganz weit oben wird es grauslich vor Ohren (nur Diffusionsschall, und der kommt aus allen möglichen Richtungen nacheinander angestottert). Und natürlich gilt dieselbe audiophile Überlebensregel wie im Großen Haus: Setze dich möglichst nicht neben (und niemals hinter) die Bühne, außer wenn du taub bist.
Auch architektonisch wirkt der Kammermusiksaal noch mehr aus einem Guss, da die Erfahrungen aus Bau und Betrieb des Großen Hauses einflossen. Die Lenkung der Besucherströme funktioniert hier, und selbst Ortsfremde haben schon die Toilettenräume gefunden. Daher trotz schokoladenbraun angepinselter Details mit Fug und Recht Kleine Philharmonie zu nennen. Phils knackige kleine Schwester.
Mittags gibt es für ganze 3 Euro architektonische Führungen durch Phil samt KMS (Treffpunkt: rückseitig am Künstlereingang, nicht vorne an der Kasse...). Die faszinierende Architektur mit ihren innerhalb weniger Schritte wechselnden Perspektiven ist es alleine schon wert! Es lohnt sich, aufmerksam duch den Saal zu blicken und dabei in Bewegung zu bleiben. Kuckst du hier:
http://www.berliner-philharmoniker.de/p ... uehrungen/
Wer nach Berlin kommt, kann mir das gerne per PN mitteilen: Vielleicht läßt sich etwas arrangieren.
Herzliche Grüße
Pit